Perfektion

DSC_3268Nein, ich bin jetzt nicht zu „Den Zeugen“ konvertiert oder habe „Den Wachturm“ abonniert. Und jeder, der „Dirty Dancing“ im Kino nie mochte oder keine Blogs mag, die wie kitschige Groschenromane klingen, der sollte auf gar keinen Fall weiterlesen. Echt jetzt, dies ist eine ernst gemeinte Warnung! Wer aber eine romantische Ode an das Glück lesen will, der klickt hier…

Ich stehe am Heck des Bootes und pinkel ins Wasser.
Unter mir spiegelt sich der Mond im Sandgrund wider und überzieht ihn mit einem silbern glänzenden Leopardenmuster. Das Wasser ist kristallklar.
Spiegelglatte Klaviertöne treiben durch die nächtliche Bucht und prasseln wie Regentropfen auf mein Trommelfell und wecken alte, böse Gedanken, die längst vergessen schienen.

Aus unseren Boxen ertönt Claude Debussy´s „Clair De Lune“ aus seiner „Suite Bergamasque“. Jeder Ton ist wie ein feiner Stich mit einer super dünnen Nadel aus allerfeinstem Edelstahl. Ein ganz leichter Schmerz, der aber zum Glück sofort von absoluter Freude übermannt wird.

Diese Töne.
Diese Melodie.
Diese Emotion
Diese absolut perfekte Abfolge von Tönen.
Diese absolut perfekte Aneinanderreihung von Noten.
Nicht einfach so zufällig, einmal im Leben improvisiert gespielt, nein, sondern gewollt wiederholt, immer wieder und wieder für die Ewigkeit.

Jeder einzelne Ton dieser Komposition ist genauso, wie er sein sollte. Er hätte gar nicht anders sein können. Nicht anders sein sollen. Wie kann ein einzelner Mensch eine solche Perfektion erschaffen?

Ich gehe zurück ins Cockpit und kuschle mich zurück zu Diana, die zusammengekauert wie eine Katze im Mondenschein auf unserem Teakholz liegt, das noch immer die Sonne des Tages gespeichert hat. Ich kraule ihr golden, welliges Haar und streichle ihre warme, weiche Haut.

Die See ist glatt und dunkel, aber überzogen von diesem atemberaubenden Schleier aus anthrazitfarbenem Mondlicht, der alles immer so mystisch macht.

Und diese kristallklaren Klaviertöne aus der Ferne. Die Brandung rauscht dazu, man hört, wie tausend kleine abgebrochene Korallenstückchen ans Ufer rollen und wieder zurück fallen. Für immer und immer. Bis in alle Ewigkeit. Bis sich die Erde aufhört zu drehen. Dahinter schweift mein Blick den steilen Hang hinauf, der dicht mit den allerschönsten, dunkelgrün-saftigsten Bäumen bewaldet ist. Diesen steilen Hang hinauf, durch die Bäume und das Dickicht hindurch, führt ein alter, vergessener Pfad.

Ich kenne diesen Pfad.
Er führt zur anderen Seite.
Erst hinauf auf den Kamm, wo der Wind das hohe Gras herunterdrückt.
Gedrungene Wachholder-artige Büsche haben sich dem schweren Wetter in ihrer Haltung angepasst. Alles mutet ein bisschen irisch oder schottisch an. Sehr wild.
Dann führt der Pfad hinunter in eine menschenverlassene Bucht, die mit „Money Bay“ nicht unzutreffender hätte betitelt werden können.

Der Weg dorthin ist die Erlösung.
Meine Erlösung.
Der Weg in die Money Bay – absurder Weise weg von allem Geld, weg von allem Weltlichen, hin zur Erleuchtung.

Mit meiner Ehefrau.
Mit meiner Steuerfrau.
Mit meiner tapferen Begleiterin.
Mit meinem Leben.

Der Weg ist hart und voller Hindernisse.
Zugewuchert und undurchdringlich.
Immer wieder scheint es so, als ob der Weg einem zuflüstern will „Kehr um! Dies ist eine Nummer zu groß für Dich!“
Wir aber geben nicht auf!
Niemals!

Mit zwei hölzernen Schwertern schlage ich als mutiger Prinz einen schmalen Pfad durchs Dickicht wie vor über 30 Jahren auf der „Großen Wiese“ in meinem Heimatort und gehe weiter voraus. Für meine Prinzessin.

Erschöpft erreichen wir das Ufer, treten heraus aus dem Dschungel, das grelle Tageslicht blendet uns. Wir erblicken das freie Meer. Das kühle Wasser. Und werfen die Kleider von uns. Wir tauchen ein ins sonnenglühende Wasser und vereinigen uns. Perfekt. Wie füreinander geschaffen schmiegen sich unsere Körper ineinander und werden eins.

Feine Klaviertöne in meinem Kopf…
Clair De Lune, kaum wahrnehmbar…
Melodien der Vergangenheit.
Immer wieder und wieder bis in die Unendlichkeit der Nacht.
Sterne.

Wir tauchen.
Jeden Tag.
Hinab in diese andere Welt, die uns vollkommen eingenommen hat.
Diese stille Welt voll perfekter Schönheit, die Diana so sehr zu entdecken liebt.
Wir sehen jeden Tag Geschöpfe, die wir noch nie zuvor in unserem Leben gesehen haben: grüne Riesenmuränen, Schokoladen-Röhrenschwämme, Rosa Feuerkorallen, Riff-Anemonen, große Federwürmer, Seespinnen, Riffsepia, Octopusse, Stachelrochen, Trompetenfische, Husare, Tiger-Zackenbarsche, blutrote Juwelenbarsche, den Blauen Chromis und noch ungefähr eine Million weitere Fische.

All diese Lebewesen sieht man nie hier oben bei uns.
In unserer Welt, die das Maß aller Dinge sein will.
Sie spielen keine Rolle in unserem Leben und sind dennoch da.
Sie sind perfekt.
Still und bescheiden.
In der Tiefe.

Klare Klaviertöne wehen durch die Nacht…
Es ist Dreiviertelmond. Hell und strahlend vor Kraft!
Bald ist Vollmond.
Heute ist Freitag, der 13. Dezember 2013.
Ein perfekter Tag.
Frühmorgens brüht Diana frischen Kaffee auf. Aus Martinique. Wie immer.
Die Sonne steigt empor über unserem Boot und trocknet den Nachttau.
Ich höre diese Klaviermelodie in meinem Kopf. Im Hintergrund. Ganz leise. Jeder Ton muss genauso sein, wie er ist. Welch Perfektion.
Wieso können Dinge so schön sein?

Zum Frühstück mache ich Schwäbische Pfannkuchen.
So, wie Diana sie liebt.
Mit Erdnussbutter bestrichen, Zimt und Ahornsirup.
Cooked to perfection.
„You never knew that, that I could do that!“ singt David Bowie auf seiner neuen Platte.

Wir gehen tauchen.
Fahren raus mit dem Dinghy.
Aufs offene Meer.
Wollen mehr.
Ankern im wilden Wasser.
Und steigen wieder hinab in die stille Tiefe.
Und sehen Dinge, die wir noch nie zuvor gesehen haben.
Hand in Hand.
Sprachlos.

Es ist Freitag, der 13.
Im goldenen Sand vor dem Riff finden wir in der Tiefe eine Hand voll Sanddollars. Die Skeletts toter Seeigel, die man lebend nie zu Gesicht bekommt, nur nach Stürmen und selten sind sie dann noch heil. Unsere sind heil.

Unsere sind perfekt.
Sind zwar keine Goldstücke, aber wenn das kein Glück bringt…
Mein Goldstück zaubert später ein perfektes Dinner auf den Tisch.
Grünen Spargel, mit zerlassener Butter und Parmesan.
Dazu knusprige Ofen-Bratkartoffel-Würfel mit Pastinaken.
Wir beide hatten schlimmere Tage in unserem Leben.
Tage voller Stille und Schatten und ohne Zukunft…

Heute sitzen wir im Mondlicht und schlemmen.
Und wieder wehen mir dazu diese Klaviertöne in die Ohren.
In mein Herz.
Treffen mich wie feine Nadeln.
Tun mir weh, aber zeigen mir auch, dass ich noch lebe.
Dass ich wieder lebe.
„Clair De Lune“ mit der dazugehörigen Prélude.
Was für eine perfekte Melodie!
Die
perfekte Melodie für eine perfekte Welt…
Jeder Ton muss genauso sein, wie er ist.
Das will das Universum so.
Schön und manchmal auch ein bisschen schräg und tragisch.
Es geht gar nicht anders.
Denn so ist das Leben.

2 Gedanken zu „Perfektion

  1. Ach wie schön. Momente des wahren Glücks bleiben fest in unseren Gedanken und bereichern unseren Alltag wenn wir uns an sie erinnern. Ich wünsche Euch noch viele glückliche Momente auf Eurer Reise…liebe Grüsse Kerstin

  2. Wau ich bin ganz hin und weg von sooo schönen Gedanken und Momenten freue mich für euch und mit euch wünsche noch viele glückliche Tage .dicke Umarmung
    Tante Annerose

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