Wir gehen also ganz, ganz großes Risiko: wir empfangen Diana´s Eltern auf einer Insel, auf der wir selber noch nie waren und von der wir vorher viel Böses gehört haben:
Saint Lucia.
Auweia.
Entsprechend gestalten sich die Tage davor…
Wir segeln hoch am Wind – und das im doppelten Sinne – von Martinique rüber nach St. Lucia. Friedrich und Brigitte landen in Castries, der Hauptstadt. Mit dem Segelboot kann man ziemlich genau vor den Flughafen fahren. Nach VIGIE CREEK, gelegen neben dem Rollfeld.
Immer wenn ich aber irgendwo „Creek“ höre, in Verbindung mit Segeln, sträuben sich meine Nackenhaare. Das war damals so im Indian Creek auf Antigua. Und das wird auch immer so sein. CREEK bedeutet für mich: flach, trüb, eng, stickig. Und so weiter.
Als wir die für eine Hauptstadt ziemlich versteckte Einfahrt nehmen und VIGIE CREEK ansteuern ist uns beiden sofort nicht geheuer.
„Lass uns erst mal rein fahren. Lass uns ruhig bleiben. Gib dem Creek eine Chance…“ beschwöre ich Diana, als wir uns nach Castries reinschleichen.
Wir sehen die Rollbahn hinter den Bäumen, eigentlich perfekt, um F+B abzuholen.
Doch irgendetwas stimmt nicht.
Diana geht auf Schleichfahrt wie einst U96 – Semmelrogge, Grönemeyer und Prochnow halten den Atem an. Wir schieben uns vorbei an der Polizeistation, 4 oder 5 Patrouillen-Boote liegen einsatzbereit in den Mangroven. Doch kein einziges anderes Segelboot.
Wir gleiten durch das enge Fahrwasser. Rechts Steine. Es ist tief. Doch große Steine, die sind nie nett. „20 Fuß, 15, 10…“ Gerade mal noch 2 oder 3 Meter vom Ufer entfernt schneidet Diana das sonst spiegelglatte Wasser und beschreibt einen fast makellos kreisrunden Kurs durch den Creek.
„Weg hier! Weiter. Fahr hier raus, fahr ins Tiefe. Fahr in den Haupthafen vor der Hauptstadt!“
Nur ein paar hundert Meter weiter das gleiche Spiel. Wir laufen ein in ein Hafenbecken, aber niemand ist da. Diana dreht das Boot im Halbkreis. Wir gleiten durchs Becken. Lautlos. Vom Rand schauen uns fremde Gestalten hinterher – und tun so, als ob sie uns nicht hinterher schauen würden. Auch hier fühlen wir uns nicht wohl. Kein einziges anderes Segelboot. Doch das geringere Übel scheint in VIGIE CREEK zu schlummern, also entscheiden wir uns nach einem mehr als schwierigen Manöver dort Anker zu schmeißen.
Und dann liegen wir da.
Schräg vor der AUBERGE SERAPHINE.
Schräg vorm Fitness-Club.
Direkt gegenüber vom Polizeidock.
Und wir fühlen uns so unwohl und wissen nicht warum.
Wir gehen an Land – und lernen Castries als Mischung aus Bangkok und Belém kennen. Mehr asiatisch-brasilianisch als karibisch-britisch. Und plötzlich mögen wir diese Stadt. Diese Insel. Und tuckern mit frischen Marktwaren zurück auf unser Boot.
Warum fühlten wir uns zuerst nur so unwohl?
So unsicher?
So blöd?
„Weil wir die einzigen hier sind!“ fällt´s mir plötzlich wie Schuppen von den Augen.
„Du hast Recht! Wenn hier noch 3 oder 4 andere Boote liegen würden, wär´s ok bis toll“ entgegnet Diana. Damit ist das Eis gebrochen.
Ab sofort dümpeln wir vollkommen ungeniert vorm Polizeidock, kochen, tanzen und baden nackt. Und warten auf die Ankunft von Friedrich+Brigitte…
Die dann auch kommen.
Und wie!
Denn sie kommen vollkommen cool und entspannt.
Es dauert keine 24 Stunden, dann sind die beiden wieder Teil der Crew, Teil des Boots, Teil des Abenteuers. Und auch sie lieben VIGIE CREEK.
Friedrich und ich durchstöbern die Märkte nach frischem Gemüse und Fisch, die Mädels bleiben auf dem Boot und quatschen. Quatschen viel.
Danach geht’s nach Norden nach Rodney Bay, der legendären Atlantik-Überquerer-Bucht. Jeder, der den Atlantik überquert, kommt eigentlich hier an. Eine natürlich breit gezogene Bucht. Unzählige Boote. Hier wurden nach tausenden glücklicher Atlantik-Crossings tausende glücklicher Tränen vergossen. Nicht zu unrecht…
Wir aber lauschen dem St.-Lucia-Festival als Zaungäste vor Pigeon Island und ankern direkt vorm Festivalgelände: The Jacksons (ohne Michael), R. Kelly, Akon und 20 weitere Acts hören sich auf dem Boot teilweise richtig toll an – vor allem umsonst… Friedrich und Brigitte schwofen mit und sind endgültig angekommen.
Sowieso: es macht sich sofort bemerkbar, dass die Beiden schon mal auf dem Boot waren. Alles ist noch ziemlich vertraut. Alles verläuft ziemlich gut ohne viel Blaue Flecken.
Doch wir wollen in den Süden mit den Beiden.
Sind sie auch dafür bereit?
Wir angeln auf dem Weg. Mal wieder. Und Brigitte fängt am Ende nach stundenlangem Kampft tatsächlich einen GREAT BARACCUDA – und bricht damit eine lange Pechsträhne dieses Bootes. Aber das ist eine andere Geschichte…
Denn zunächst ist da MARIGOT.
Traumhafte Bucht, umgeben von Schluchten und Regenwald.
Friedrich und ich hängen am Fernglas und entdecken einen Weißkopfseeadler.
Das Essen im Dr. Doolittle, wo gleichnamiger Film gedreht wurde, ist weniger aufregend.
Weiter ganz runter nach Süden – zu den PITONS.
Hmmmm, die PITONS…
Das ist so´ne Sache mit den Pitons…
Da hab ich am Anfang gedacht, das ist nur so´n Touri-Ding.
Aber schnell stellt sich heraus, dass die PITONS so eine Mischung aus den Dolomiten und dem Mount Everest sind. Und ich hab wirklich gedacht, dass das voll das Disney-Ding hier in St. Lucia ist. Aber am Ende ist das ganz einfach: diese beiden Berge fangen dich komplett ein.
Ganz einfach.
Ganz ehrlich.
Ganz ohne Schnörkel.
Diese Berge sind einfach so unsagbar schön.
Und so unvergleichbar.
Am Anfang liegen wir als einziges Boot vor dem Kleinen Piton.
Die Kulisse ist malerisch, atemberaubend und alle weiteren, abgedroschenen Superlative.
Und dieser Berg macht dich bei allem, was du den Tag über machst, sprachlos – und ehrfurchtsvoll.
Aber er macht dich auch nachdenklich. Denn an seinem Fuße wird gebaut. Diese absolute Wildnis, dieser tolle Dschungel. Wie wird er aussehen, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind?! Es gibt dann eine handvoll Wohnungen zu kaufen, ab 2,6 Mio. Dollar. Na dann mal los…
Denn nachts, wenn wir hier so kostenlos vor Anker liegen, kommt ein schleichender, stechender Geruch die Berge herrunter…. Schwefel! Viel Schwefel! Denn die meisten Leute vergessen wahrscheinlich: dies ist ein lebendiger Berg. Er lebt. Es gibt heiße Wasserfälle, aus denen kochendes Wasser aus dem Berg sprudelt. Dann gibt es die Schwefel-Quellen. Kochend. Sprudelend. Ätzend. Stinkend. Diana und Brigitte halten sich die Nasen zu – Friedrich geht drin baden und reibt sich mit dem heilenden Schlamm ein… „Sä isch zän Ja jinga auos, hanni mia gschwind denkt!“
Und die PITONS sind so geil. Viel geiler, als ich mir das vorgestellt habe.
Die Szenerie beflügelt alle.
Friedrich entdeckt seine Liebe zu selbstgepflückten Mangos und wittert das ganz große Export-Geschäft.
Diana verbringt tolle Tage mit ihren Pitons, wie wir Friedrich und Brigitte schnell umtaufen. Den großen Piton. Und den kleinen Piton.
Zu recht.
Denn auch die Beiden sind cool.
Und ziemlich einzigartig.
Wenn man mit Friedrich in einen Supermarkt auf einer fremden Insel kommt, dann ist dass so, wie kurz nach dem Mauerfall oder als wenn man in einer unfernen Zukunft in 50 Jahren aus Apollo 22 aussteigt und den Mars betritt. Entweder war Friedrich schon mal da oder er kennt jemanden…;-)
Diana genießt die Zeit. Mit ihren Eltern, die sie so sehr lieb hat. Jede freie Minute wird ab sofort mit ihnen verbracht, denn die Zeit ist auch schon fast wieder um.
Es geht zurück nach Rodney Bay exzellent indisch Essen, dann zu Bayern gegen Dortmund und Heineken-Bucket. Noch einmal gibt es einen ganzen Strandtag, bevor wir die beiden PITONS nach 3 Wochen nach Castries zurücksegeln. Mit 9 Knoten. Ohne dass überhaupt jemand zuckt. Die beiden PITONS sind wirklich see-tauglich geworden. Das macht Laune auf mehr….
See you soon, Pitons!
Wherever.
Thank You very much for the trip, the two piton