Der Fluch der Quäker

DSC_2025Nanny Cay – Norman Island – Road Town.
Wir schienen gefangen im Bermuda-Dreieck.
Es gab kein Entkommen.Wir waren seit unserer Rückkehr aus Deutschland noch kein einziges mal ernsthaft segeln gewesen. Das musste sich schleunigst ändern. Und da wir nun mal ein Segelboot haben, haben wir einfach Segel gesetzt und sind los gesegelt. Der Wind hat uns nach Little Jost van Dyke getragen. Nördlich von Tortola, nebenan von Jost van Dyke, der größeren Schwesterinsel, die immerhin fast 200 Einwohner hat und auch die Heimat der legendären Soggy Dollar Bar und das Foxy´s ist.

Little Jost van Dyke selbst ist unbewohnt. Wenn man mal von dem guten Dutzend Ziegen absieht.

Das Segeln rüber nach LJVD war weltspitze. Schnell, gut, eingespielt-reibungslos. Wir würden ein paar Tage vor der Insel verbringen, eher Ende der Woche mehr Wind aufkommen würde – viel mehr Wind – und wir uns eine sicherere Bucht zum Ankern irgendwo anders suchen müssten. Bis dahin wollte ich aber die Insel erkunden. LJVD war vor langer Zeit eine alte Quäker-Siedlung. Leute – fromme Siedler aus England oder so glaube ich – die Anfang des 17. Jahrhunderts versucht haben, ausserhalb der Heimat neues Land zu erschließen. Mann, das muss ein hartes Leben gewesen sein. Und dieses harte Leben muss Spuren auf der Insel hinterlassen haben.

Doch wir fanden nichts.
Nichts, ausser harter, unbarmherziger Natur.
Felsen, Kakteen, Sträucher.
Kein Süßwasser. Keine fruchtbare Erde.
Nur Felsen und raue Natur.

Doch irgendwie ließ uns diese Insel trotzdem nicht los.
Diese Wildnis.
Und die Kenntnis, dass vor fast 300 Jahren Menschen hierher gekommen sein sollen. Ohne Kühlschrank und Strom.
Diese Quäker müssen harte Hunde gewesen sein.
Aber irgendwann müssen auch sie aufgegeben und die Insel verlassen haben. Uns aber zog die Insel in ihren Bann…

Alles fing mit der Dunkelheit an.
Diese unglaublich dunkle Dunkelheit.
Nachts.
Kein Mond, kein Licht, kein Irgendwas.
Keine Menschenseele.

Und dann kamen Diana´s Träume dazu.
Na ja, sagen wir lieber Schlaflosigkeit unterbrochen von Träumen.
Wirren Träumen.

Sie träumt von dem Vater eines alten Schulfreundes von vor 30 Jahren – und wird dessen Geliebte. Hallo?!

Der Wind wird stärker im Verlauf der Woche und wir müssen einen Zweitanker setzen, um noch einigermaßen ruhig zu liegen. Die Brandung nimmt zu.

Nachts klopft es an unseren Rumpf.
Dumpf, beständig und rhythmisch.
Mal ums Mal klettere ich rauf ans Deck und leuchte beide Seiten von SCOOBY ab. Schatten huschen durchs Wasser. Aber sehen kann ich nichts.

Hoch auf den Klippen von Little Jost van Dyke sehe ich in der Dunkelheit Silhouetten. Kleine Gestalten mit glühenden Augen, die auf SCOOBY herabblicken und dann verschwinden. Wer sind diese Wesen? Was wollen sie?

Mit dem stärkeren Wind fällt auch die Temperatur. Während es in Deutschland 20 Zentimeter Neuschnee gibt und Johann in Kuddewörde sein erstes Iglu baut, mag sich das komisch anhören, aber nach Sonnenuntergang wird es auch hier empfindlich kalt.

Diana liest derweil Christoph Ransmayr´s „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“. Ein Buch, das uns Regine und Jochen kurz vor unserem Abschied in Deutschland als Geschenk in die Hand gedrückt hatten. „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“… Hmmmm? Wollten die Beiden uns etwas damit sagen?

Die Geschichte einer Nordpolarmeerexpedition um 1870.
Nachts liegt Diana neben mir im Bett und liest.
Sie berichtet von erfrierenden Gliedmaßen, Minus 50 Grad, eingefrorenen Schiffen im Packeis und unbarmherzigen Eisbärenattacken.
„Wie haben die das bloß geschafft?“, murmelt sie unentwegt und schüttelt erst sich und dann den Kopf.

Und es ist wohl auch diese Nacht in der unser Kühlschrank kaputt geht.
Das finde ich schon komisch…
Er schaltet sich einfach zwischendurch nicht mehr aus, sondern kühlt ununterbrochen.
Alles gefriert. Alles wird zu einem einzigen Klumpen Eis. Totale Eiszeit. Und unsere Batterien sind leer gesogen. So ein Mist…

Der Wind wird immer stärker. Nachts muss ich mehrmals raus, um die Anker zu checken. An den Edelstahlteilen auf Deck haben sich kleine Salzkristalle gebildet. Im Sternenlicht der Nacht funkeln sie wie Diamanten. Hört sich kitschig an, bringt es aber auf den Punkt. Mein Blick wandert über die Klippen der Insel, die sich nur noch ganz schwer gegen den schwarzen Nachthimmel abzeichnen. Und wieder sind da diese Gestalten. Und wieder schauen sie auf SCOOBY herab. Irgendwie bedrohlich. Was wollen die?

Vom Bug aus kann ich die Stelle sehen, bei der dieser riesige neue Katamaran auf Grund gelaufen war, von dem ich in einem vorigen Blog geschrieben hatte. Ich stehe dort und frage mich noch immer: „Wie konnte der da hindurch fahren und aufs Riff laufen?“
Was aber, wenn er gar nicht wollte?
Was, wenn er gelockt worden ist?
Gerufen! Von den Gestalten auf den Klippen…

In dieser Nacht wird der Wind zu Wimmern.
Er heult und hämmert und brummt und klagt.
Ich stehe am Bug und schaue in die Nacht. Und stelle mir einsam die Frage, wann aus Dunkelheit eigentlich Finsternis wird?
Eiskalte Finsternis…

Diana träumt währenddessen von einem schmalen Pfad, den sie hinaufsteigt. Gefolgt von einem Mann. Friedrich oder ich, das weiß sie nicht mehr genau. Dann verwandelt sich dieser Mann plötzlich in einen Esel und beißt ihr von hinten in den linken Arm.
Sie schreit laut auf vor Schmerz, aber der Esel lässt nicht los. Er kann nicht mehr loslassen. Eine große Schlange hatte sich um seinen ganzen Körper gewunden und drohte ihn nun zu erwürgen. Schweißgebadet wacht sie um 5 Uhr auf und liest „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ weiter. (Dafür an dieser Stelle noch einmal ein besonderer Dank an Jochen & Regine).

Bei Sonnenaufgang sitzen wir beide an Deck.
Das mächtige Donnern der Brandung, die unablässig gegen die Felsen hämmert, erfüllt den Morgen mit einer bedrohlichen Musik.
Still sitzen wir da. Zusammengekauert. Aneinandergedrückt, wie zwei nasse Ziegen.
Ein heißer Kaffee wärmt uns.
Die Gestalten der Nacht sind verschwunden.
Der Wind ist noch mal stärker geworden.
Die Wolken verraten, ein Sturm zieht auf.
Wir reden über das Nordpolarmeer und die Quäker.
Und entscheiden uns nach Osten zu segeln, um hinter Guana Island Zuflucht zu finden.

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