Say No To Drugs

IMG_3682Die Boot-Show war nur noch 2 Tage entfernt und die Marina füllte sich. Von überall her kamen poshe Katamarane, einer größer als der andere. Überall wurde geschraubt und geputzt und repariert. Für uns war da kein Platz mehr, wir mussten raus aus Nanny Cay.

Aber das war auch gut so, denn schließlich hatten wir selber nun schon seit fast 4 Wochen an unserem kleinen Boot herum gewerkelt. Und wir hatten alles geschafft. Fast…

Eine Sache war offen geblieben: ich musste nur noch unseren Impeller wechseln. Ein kleines, schwarzes Schaufelrad aus Gummi, das sich in unserer Frischwasserpumpe befindet. Diese Pumpe saugt durch eine Öffnung im Rumpf Salzwasser durch ein Rohr in unseren Motor, um ihn dort über einen Wärmetauscher zu kühlen. Ist das Schaufelrad kaputt, funktioniert die Pumpe nicht mehr. Funktioniert die Pumpe nicht mehr, funktioniert die Motorkühlung nicht mehr. Will man nicht haben so was. Der Wechsel an sich ist kein Big Deal, aber unbedingt regelmäßig notwendig, weil neben den enormen Reibungskräften vor allem das Salzwasser am Rädchen nagt. Und man möchte das Rädchen wechseln, bevor es kaputt geht. Ich hatte es bis jetzt nicht geschafft, weil ich nicht an den richtigen Ersatzimpeller gekommen war. Nun hatte ich aber einen.

Wir liefen aus in Richtung Road Town, der Hauptstadt der BVIs. Hier wollten wir ankern, denn wir mussten eh zur Immigration, um unser Visum verlängern zu lassen.

Wir motoren die ganze Strecke, da der Wind direkt auf die Nase kam und wir keine Lust hatten, hoch am Wind zu kreuzen. Wir passieren 2 riesige Kreuzfahrtschiffe, die vor der Hafeneinfahrt festgemacht haben und erreichen schließlich den Hafen von Road Town.

Road Town hat einen Naturhafen. De facto handelt es sich um eine große Bucht, die am Ende einen tiefen Einschnitt hat und durch zwei aufgeschüttete Hafenmolen vor Wind und Wellen geschützt wird. Links und rechts sind zwei große Marinas. In der Mitte ist eine kleine Mangroveninsel. Hier ist die einzige Möglichkeit zu ankern. Kostenlos. Natürlich liegen hier viele andere Boote. Die meisten sind alt und verlassen und gammeln vor sich hin. Der ein oder andere Hurricane hat einigen Booten schwer zugesetzt, so dass sie Schlagseite haben oder schon halb gesunken sind. Stahlboote rosten vor sich hin. Stahlgerippe direkt am Ufer der Mangroveninsel schauen nur noch wenige Zentimeter aus dem flachen Wasser empor. Es ist eng. Und der Boden ist schlickig und morastig. Und das Wasser, was soll ich sagen, ist dreckig. Eine trübe, dunkelbraune Brühe. Voll mit Reinigungswasser aus den Marinas. Wenns stark regnet, spült der Regen den Dreck der Stadt ins Hafenbecken. Und ab und zu treiben ein totes Huhn oder eine olle Kackwurst an SCOOBY vorbei. Nie im Leben würde man hier baden gehen. Deshalb sind wir ja aber auch nicht hier…

Wir ankern. Der Anker fällt und verschwindet in der dunklen Tiefe. Der Motor heult auf. Diana gibt richtig Gas rückwärts und gräbt den Anker tief im Schlick ein. Schließlich wollen wir uns bei einer Windböe, die heftig von den Bergen herunter sausen können, nicht einfach losreißen und auf unseren Bootsnachbarn knallen. Das haben wir hier schon erlebt…

Unter voller Kraft rückwärts und straff gespannter Ankerkette kommt SCOOBY eine knappe halbe Bootslänge vor dem Boot hinter uns zum stehen. Der Anker sitzt!

Aber irgendwas ist plötzlich anders.
Das merke ich sofort.
Unterbewusst. Instinktiv.
Irgendwas hört sich anders an…

Das Motorgeräusch hört sich anders an. Beziehungsweise das dumpfe Blubbern des Auspuffs, über den auch das „verbrauchte“ Kühlwasser wieder aus dem Motor gepumpt wird. Denn da blubbert nichts mehr. Ich schaue über die Reling und tatsächlich: dort, wo aus der Bordwand normalerweise in regelmäßigen Intervallen ein dicker Strahl Kühlwasser herausschießt ist nichts mehr…

Das kann doch jetzt nicht sein!
Da repariere und warte ich fast 4 Wochen alle notwendigen und wichtigen Dinge an Bord, bis auf eine einzige, kleine Sache und dann geht genau diese Sache kaputt?
So viel Pech kann man doch gar nicht haben, oder?!

Verzweifelt und auch ein bißchen wütend schaue ich Diana an.
„Der Impeller ist im Arsch! Bestimmt beim Rückwärtsfahren. Das ist alles Deine Schuld!“.
Das mit Diana´s Schuld ist natürlich blanker Unsinn.
Aber sie ist schließlich die Einzige an Bord, die ich anschreien kann und außerdem ist sie ja auch meine Ehefrau – und die sind ja auch für sowas mal da.

Nachdem sich die Wut auf mich, Neptun und alle Segelboote dieser Welt gelegt hat, kehrt wieder Pragmatismus ein. OK, der Impeller ist Schrott. OK, schraub ich halt die Pumpe auf und wechsel das Scheißding. Und natürlich hoffe ganz inständig, dass sich das Ding nicht komplett in seine Einzelteile zerlegt hat und nun alle Schläuche, Leitungen und den Wärmetauscher verstopft. Dann müssten all diese Stückchen irgendwie rausgeholt werden und dazu müsste man ziemlich viel schrauben.

Es ist bereits dunkel geworden, aber ich beschließe, den Impeller noch heute Abend zu wechseln. Das Essen kann warten.
Ich öffne den „Motorraum“ und krieche auf allen Vieren hinein. Mein Begleiter: mein Werkzeugkasten aus Deutschland. Deutsches Qualitätswerkzeug. Chrom. Vanadium. Allererste Güte. Ein Geschenk meines Bruders. Um ihn wurde ich schon oft beneidet.

Vor mir die Frischwasserpumpe. Vorne dran eine Eisenplatte. Dahinter verbirgt sich das Gehäuse, in dem der Impeller steckt. Langsam und vorsichtig schraube ich die Platte auf. Salzwasser sickert heraus. Dann ist die Platte mitsamt ihrer Dichtung ab und ich schaue ins Gehäuse… FUCK!

Der Impeller ist heil!

Blitzeblank und fast jungfräulich schimmert dieses kleine, schwarze Schaufelrädchen rotzfrech und quicklebendig im Schein meiner Taschenlampe. Was eigentlich eine gute Nachricht sein müsste, hat leider einen Haken. Denn wenn es nicht der Impeller ist, was ist es dann?

Ich bin zwar kein Mechaniker, aber logisch gedacht kann es eigentlich nur noch eine weitere Möglichkeit geben: etwas muss die Einlassöffnung unter dem Rumpf verstopft haben, so dass die Pumpe zwar noch pumpt, aber kein Wasser mehr herein bekommt.

Natürlich ist der Einlass durch ein Schutzgitter und ein feines Sieb geschützt, damit die Öffnung nicht mit Seegras oder sonstigem Treibgut verstopft. Aber irgendetwas oder irgendjemand verstopft ihn. Das muss so sein. Das geht ja gar nicht anders.

Gewissheit würde nur ein Blick unters Boot verschaffen.
Halt mal!
Das würde ja heißen, dass jemand ins Wasser springen und dann unter SCOOBY tauchen muss, um die Einlassöffnung zu inspizieren und gegebenenfalls zu reinigen.

DAS ist ´ne ganz klare Aufgabe für Diana! Denke ich mir.

Die lehnt natürlich sofort vehement zeternd ab und zeigt mir einen Vogel.
„Das mach mal schön alleine, mein Lieber. In das Wasser gehe ich doch nicht tauchen!“.

Arschkarte gezogen, würde ich mal sagen.

Doch heute Abend läuft da gar nichts mehr. Es ist zu dunkel zum Tauchen.
Ich habe eine unruhige Nacht. Träume von nasser Kälte, endloser Tiefe und finsterster Finsternis.

Der neue Morgen beginnt mit einer alten Frage: ist der Einlass wirklich verstopft? Denn schließlich tuckern wir seit 1 ½ Jahren durchs Meer und nie hatten wir so ein Problem. Und was erwartet mich da unten eigentlich? Normalerweise gehe ich nie ins Wasser, wenn ich den Grund nicht sehen kann. Und hier ist es 10 Meter tief und man kann die Hand vor Augen nicht sehen! Ich weiß, dass es hier riesige Tarpune und Barrakudas gibt. Über einen Meter groß. Ausgehungerte, wilde Tiere, die sich von Abfällen und Fäkalien ernähren. Wie reagieren die, wenn die meinen feinen, weißen Frischfleischarsch vor ihre Kiemen bekommen?

Noch mehr aber machen mir die Schiffshalter zu schaffen. Das sind ganz besondere Fische! Sie haben einen flachen Schädel auf dem sich oben ein Saugorgan befindet. Mit dem saugen sie sich an großen Haien fest oder an Booten. Manchmal heften sie sich sogar an Tauchern fest. Wir haben mal so ein Biest zu Gesicht bekommen. Uns war leider ein großer Block Käse angeschimmelt und Diana kam auf die glorreiche Idee, den an „ihre Fischchen“ zu verfüttern. Als sie das Ding ganz über Bord warf, kam sofort so ein Schiffshalter-Fisch an. 1 Meter groß. Genauso geformt wie ein Hai. Unglaublich flink und wendig. Und unglaublich gefräßig. Der hat sich sofort auf den Käseblock gestürzt und in Null-Komma-Nix gefressen. Dabei hat er sich immer wieder um seine eigene Achse gedreht, wie ein fressender Alligator und hat wild gestrampelt. Das ganze sah eher wie ein wilder Pitbull aus, der sich über einen Hasen hermacht und ihn zerfleischt.

Wenn sich so ein Tier dort unten an mir festsaugen würde, könnte ich für nichts mehr garantieren. Ohne Scheiß! Wahrscheinlich würde man meine Schreie noch in Truchtelfingen hören…

Aber es half ja alles nichts. Diana weigerte sich weiterhin vehement den Tauchgang zu übernehmen. Angsthase! Also musste ich ran. Erst Neopren-Anzug an. Strümpfe an. Dann in die Flossen. Die Ohren fest mit Pfropfen verschlossen. Das Gesicht mit einer dicken Schicht Nivea eingeschmiert. Die Lippen mit Herpescreme. Präventiv. Dann Handschuhe an und die Maske auf. Auf den Kopf kommt die Unterwasserlampe. In der einen Hand einen Schraubenzieher. Mit dem könnte ich nicht nur den Einlass wieder frei kriegen, sondern auch potentielle Angreifer abwehren. Luft holen.
Luft holen.
Tiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiief Luft holen…

Dann gleite ich hinab in die Tiefe.
Sofort ist es dunkel.
Das Sonnenlicht dringt nur einige wenige Zentimeter tief und verliert sich sofort in einem dunkelgrünen, trüben Nichts.
Mein Herz schlägt.
Ich spüre meinen eigenen Puls am Hals rasen, weil mir der enge Neoprenanzug fast das Blut abschnürt. Ich muss mich orientieren.
Jetzt nur nicht die Orientierung verlieren!
Wo ist hier oben? Wo unten?
Ich tauche unter SCOOBY und taste mich zum Ruderblatt vor.

Da!

Ein riiiiiiiesiger Barrakuda steht mir direkt gegenüber und versperrt mir meinen Weg. Keinen halben Meter entfernt. Regungslos starrt er mich an. Sein Maul ist weit geöffnet. Im Schein meiner Lampe sehe ich zwei makellose Reihen messerscharfer Zähne blitzen. Mein Schrei verstummt im dumpfen Blubbern meines Schnorchels.

In jedem Fischführer steht, dass Barrakudas neugierig und bisweilen sogar aufdringlich sind. Manchmal folgen sie Tauchern auch und lassen sich schwer abschütteln. Ich würde sie einfach als renitent bezeichnen.
Ich fasse all meinen Mut zusammen und stoße mit meinem Schraubenzieher blitzartig in Richtung Barrakuda zu.
„Nimm dies, du…, du…, du Fisch, Du!“
Der lässt sich aber überhaupt nicht beeindrucken und schwimmt genüsslich grinsend weiter nach vorne in Richtung Kiel. Dort wo ich auch hin muss… na toll!

Doch bange machen gilt nicht und außerdem wird mir die Luft langsam knapp. Schließlich bin ich weder mit Houdini noch mit einem südpolynesischen Perlentaucher verwandt. Wir sind einfache Leute vom platten Land in Schleswig-Holstein. Was mache ich hier eigentlich unter diesem Boot? Wirre Gedanken schießen mir durch den Kopf. Was passiert eigentlich, wenn ich jetzt einfach meine Maske abnehme und tief Luft hole? Kann ich dann atmen? Fische können das doch auch…

Weiter! Ich muss weiter!

Ich lasse das Ruderblatt hinter mir und erreiche den Propeller.
Dann weiter nach vorne am Propellerschafft vorbei in Richtung Kiel.
Hier müssten sie irgendwo liegen. Zwei Öffnungen im Rumpf, jeweils geschützt mit einem Gitter davor. Die größere der beiden Öffnungen ist er Einlass für die Seewasserpumpe.

Es ist so dunkel, dass ich mein Gesicht fast direkt an den Rumpf von SCOOBY drücken muss, um überhaupt etwas zu sehen. So, als wäre ich kurzsichtig. Ich versuche, was zu erkennen und taste und taste und taste.

Unwillkürlich muss ich ans Ertrinken denken.
Vielleicht, weil ab einem gewissen Punkt, wenn der Sauerstoffgehalt in deinem Blut unter ein bestimmtes Level fällt, sowas ganz automatisch kommt. Und vielleicht aber auch, weil dieser Moment letzte Reserven mobilisiert.

Heute sterben?
Nein Danke!
Da gibt es noch zu viele Dinge, die ich mit Diana erleben wollte.
Die ich mit Diana erleben muss.

Wie besessen taste ich weiter. Es war schon eine gefühlte halbe Ewigkeit vergangen, bis ich plötzlich ganz dicht vor mir etwas grün-weißes im Schatten wabern sehe. Ein super gefährlicher Riesen-Oktopus? Eine hinterhältig lauernde Würge-Anakonda? Oder eine untote Piratenseele, die hier vor Jahrhunderten ihr nasses Grab fand?

Nichts dergleichen!

Es ist eine Plastiktüte!

Bis zur Hälfte steckt sie bereits zwischen den einzelnen Gitterstäben.
Mit hastigen Stocherbewegungen bekomme ich das Scheißding aus dem Rohr wieder raus. Jetzt nichts wie weg hier!
Mit kräftigen Flossenschlägen gleite ich am Rumpf von SCOOBY hinauf.
In meinen Schläfen kocht das Blut.
Es wird heller.
Ich erkenne das Flimmern von Sonnenlicht.
Ich schieße durch die Wasseroberfläche in Richtung Himmel.
Das gleißende Licht blendet meine Augen.
Für einen winzigen Augenblick scheine ich zu fliegen.
Dann falle ich laut platschend auf meinen Rücken zurück.
Und treibe…

Ich sehe Diana an der Bordwand stehen. Sie guckt mich mit großen, fragenden Augen an. Selten habe ich mich so gefreut, sie wieder zu sehen.
Ich schwimme zurück zu SCOOBY und ziehe mich ans Deck hoch.
In meiner geballten Faust halte ich die Plastiktüte.
Stolz, wie eine Trophäe, präsentiere ich sie Diana.

Diana nimmt die Tüte und guckt mich ungläubig an. Dann ließt sie den Aufdruck vor: „SAY NO TO DRUGS“ steht da mit großen grünen Lettern auf weißem Grund.
„Echt jetzt?“, fragt sie.
„Ja, echt jetzt!“, antworte ich erschöpft aber überglücklich.

5 Minuten später stehe ich tropfend am Zündschlüssel und starte den Motor.
Brrrrrrammmmm, brrrrrrrammmm, tschucktschuckzschzzzzzzzzzzzzz.
Hmmm, welche Musik in meinen Ohren!
Alles ist wieder so, wie es sein sollte.

War´s das dann mit unserem Pech?
Nein, leider nicht ganz.
Keine 48 Stunden später ging meine Toilette kaputt.

Ich habe lange danach überlegt, ob ich dazu etwas schreiben sollte.
Wie würde die Headline lauten?
Der Braune Blog?
Die Gelbe Gefahr?
Das Schwarze Kapitel?

Dann aber habe ich beschlossen, dass sich das im Zusammenhang mit der 2-tägigen Reparatur Erlebte kaum in Worte fassen lasse würde und habe die Idee des Braunen Blogs für immer verworfen.
Und das ist auch gut so, glaubt mir!

Ein Gedanke zu „Say No To Drugs

  1. emma und ich sitzen am Tisch und lachen uns kaputt, mehr von Jörn Kaka Fisch Geschichten, lies weiter mama…. und Sachen die sonst NIIIIIIIIEEEEEE passieren haben wir doch reserviert. Da sind wir ja froh das jetzt schon ein bisschen was davon abgehakt ist:))))) emma will wissen, ob der Fisch dann doch noch an dir genagt hat und ob die Plastiktüte dann zum Fisch wurde und ob der Barrakuda im Klo war und alles möglich lustige….. sie liebt deine Geschichten.

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