Die Ankunft in Nanny Cay ist genau so, wie man es sich wünschen würde. Diana legt nach fast 7-monatiger Abwesenheit immer noch ein 1-A-Anlegemanöver am B-Dock hin. Eine knappe halbe Stunde später, die Segel sind noch gar nicht verstaut, kommen auch schon Adrian, Nick und Nigel übers Dock geschlurft und rufen: „Hi Germans! Welcome back!“Ob wenigstens noch Zeit für eine Dusche sei, will ich wissen. Nix da! Es geht ab an die Beachbar. Die frohe Kunde macht schnell die Runde: Ze Germans are back! Und es wird ein feucht-fröhlicher Wiedersehensabend mit viel Klatsch und Tratsch und Seemannsgarn.
Am nächsten Tag hat Jayne für uns ein Willkommensessen im feinen Brandywine Restaurant in gleichnamiger Bucht organisiert. 15 (!) Leute kommen, Freunde und sehr sehr gute, alte Bekannte. Wir genießen das Essen und den Abend und sind fast ein bisschen von diesem herzlichen Empfang gerührt.
In Nanny Cay liegen wir mit unserem Boot wieder am B-Dock. Neben uns wohnen zwei Italiener mit ihren Booten. Zwei Brüder. Der eine vielleicht 70, der andere knapp 60. Beide tragen Schnauzer und sehen original wie die fleischgewordenen Super Mario Brothers von Nintendo aus: Mario und Luigi. Die Yacht des Älteren ist bestimmt 60 Fuß lang. Die des Jüngeren vielleicht 50 Fuß. Und beide haben Frauen. Junge Frauen. Die Frau des Älteren ist gerade mal Mitte 20. Der jüngere Bruder hat dann natürlich die ältere Frau: seine ist vielleicht 30. Hier ist alles gut sortiert. Die jungen Frauen haben den beiden Brüdern wohl auch mal neue T-Shirts gekauft. Das sieht dann irgendwie komisch aus, wenn der weißhaarige 70-Jährige in seinem bedruckten, pinkfarbenen Shirt Hand-in-Hand mit seiner 25-Jährigen Bikini-Geliebten übers Dock humpelt.
An der Beachbar sind die beiden Brüder bekannt, auch wenn sie dort nie hingehen. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man uns: „Das ist die Mafia! Der Alte ist seit mindestens 20 Jahren hier und spricht mit keinem.“
Und als ich den Alten eines Morgens mit einem schwarzen Koffer an unserem Boot vorbeischlurfen sehe, bekommt das ganze plötzlich einen Sinn:
Wir leben auf einer kleinen Insel, die nicht nur für ihre wunderschönen Strände und tollen Segelreviere bekannt ist, sondern auch für ihre diskreten „Briefkästen“… Der Alte ist bestimmt „Postbote“, also Buchhalter der Mafia, die hier ihre Milliarden wäscht. Sei´s drum – mich grüßt er. Grimmig, aber er grüßt.
Am Wochenende geht’s rüber nach Jost Van Dyke, in die White Bay zur legendären Soggy Dollar Bar. Alles ist noch wie immer. Es ist super voll und quirlig. Wir treffen noch mehr alte Bekannte und fühlen uns schon nach drei Tagen wieder wie Einheimische.
Am Sonntag feiert Todd seinen letzen Arbeitstag auf dem Willy T´s. Natürlich kommen alle. Ich fahre erst mit den Jungs rüber, und später hauen wir ab. Diana kommt mit einem anderen Powerboat von Kyle und Faye spätnachts nach und verpasst mich. Während sie im Bikini auf dem Willy T´s tanzt, schlafe ich längst den Schlaf der Gerechten. Auf Deck, weil sie das Boot abgeschlossen hatte…
Die Woche über fangen wir mit unseren Arbeiten an SCOOBY an. Mittlerweile haben wir eine Liste, die auf 3 DIN A4 Seiten passt. Und jedes Mal, wenn ich einen Punkt erledigt habe, gehe ich fröhlich runter zur Liste und streiche den gerade erledigten Punkt – um dann zwei neue Aufgaben hinzuzufügen, die mir unterwegs eingefallen sind. Insofern komme ich mir hier gerade vor wie Sisyphos – einen Schritt vorwärts, zwei zurück.
Abends treffen wir Freunde und genießen die Zeit.
Mädchenabende.
Bowlingabende mit den Jungs.
Am darauf folgenden Wochenende gibt´s ne echte Beachparty. Nick und Collin feiern mit ihrer Firma im Smugglers Cove, einer traumhaft einsamen Bucht an der Nordküste Tortolas, und wir sind eingeladen. Dazu grillen wir Spanferkel. Der freundliche Freigänger aus dem örtlichen Gefängnis, der normalerweise immer freitags um 5 an die Beachbar kommt und dort die wöchentliche Eierernte des Gefängnis verkauft, hat dieses Mal ein schönes Ferkel mitgebracht. Aus eigener Knastzucht. Wunderbar lecker! Und ganz unverhofft verhilft mir dieser laue Grill-Sommer-Nachmittag am Strand auch noch zur kitschigsten Traum-Headline eines jeden Blogschreibers: „Der alte Mann und das Meer“.
Denn wir grillen das Ferkel in einer kleinen, alten, verfallenen Ruine am Strand zwischen Palmen und Mangroven. Unglaublich viel Charme. Ein ganz außergewöhnlicher Platz. Wir lernen Liz kennen, eine nette Deutsche, die seit über 30 Jahren auf der Insel lebt und uns ganz beiläufig über diese sagenhafte Location aufklärt. Diese alte Hütte gehörte einem alten Exzentriker hier auf der Insel. In den 50er und 60er Jahren hatte er das einzige große Auto hier. Eine alte Lincoln Limousine, wie sie auch von den amerikanischen Präsidenten gefahren wurde. Als die junge Königin Elizabeth auf den Jungferninseln zu Besuch war, wurde sie natürlich genau in diesem Wagen chauffiert. Der Wagen steht nun hier irgendwo unter Palmen fast versunken und rottet vor sich hin. Und dann hat irgendein US-Produzent diesen Platz entdeckt und hier Hemingway´s „Der alte Mann und das Meer“ mit Anthony Quinn in der Hauptrolle neu fürs Fernsehen gedreht. Einen besseren Ort für dieses wahnsinnige Fischer-Drama könnte ich mir kaum vorstellen…
Die Woche über wird wieder auf dem Boot geschuftet. Aber das nächste Wochenende steht schon vor der Tür – und dieses Mal in XXL. Denn es ist Karneval hier. Den haben wir schon letztes Jahr gesehen und deshalb gehen wir mit Adrian segeln. Er nimmt seine RASCAL 40 und Vicky und Nigel und wir segeln mit SCOOBY rüber nach Norman Island zum Willy T´s. Es gibt Steaks und Bier unter einem schwarzen Himmel mit unendlich vielen Sternen.
Am nächsten Tag segeln wir gemeinsam rüber nach Virgin Gorda und treffen Collin und Brynley, die gemeinsam mit Freunden auf einem Katamaran ihr 4-jähriges Hochzeitsjubiläum feiern und uns dazu eingeladen hatten. Auf dem Weg dorthin fährt Adrian fast 30 Minuten Vorsprung heraus. Das ist schon erschütternd.
Wir verbringen drei tolle Tage auf und um Virgin Gorda. Von einem Grillabend vor Moskito Island, Richard Branson´s neuer Insel, über einen Besuch im alten Kupferbergwerk mit anschließendem Umtrunk, bis hin zum Nobel-Restaurant-Besuch in Spanish Town ist alles dabei.
Mittwochmittag, es ist noch immer Feiertag auf Tortola, segeln wir zurück Richtung Nanny Cay. Der Tropical Storm „Ernesto“ ist mittlerweile südlich an uns vorbei in Richtung Mexico gezogen. Es ist fast ein bisschen neblig, aber wir haben guten Wind.
Ich stehe am Bug und beobachte, wie SCOOBY sich durch die Wellen schneidet und lasse die Beine über die Reling baumeln.
Es ist schön, zurück auf den Virgins zu sein.
Auch wenn ich erschöpft bin und mich fühle, wie der alte Mann und das Meer.