In Seenot bei über 40 Knoten Sturm

Nach meinem neuen Geschwindigkeitsrekord über 10,8 Knoten kommen wir in DESHAIES natürlich viel früher an, als geplant ;-)) Und die Ankerbucht von DESHAIES ist schon speziell. Sie liegt im äußersten Nordwesten der riesengroßen Insel GUADELOUPE und irgendwie wirken die ganze Insel und die umliegenden Berge wie ein gigantischer Windkanal, wenn man in die Bucht einläuft. Da pfeift es einem um die Ohren, als ob man um Kap Horn macht!

Als wir Kurs DESHAIES nehmen und uns klar zum Ankermanöver machen, schießt wie aus dem Nichts von links eine 39 Fuß Jeanneau unter vollen Segeln auf uns zu und kreuzt unseren Kurs! Da wir bereits dabei sind unsere Segel zu bergen und dazu unter Motor laufen, sind wir ausweichpflichtig. Ausweichen müssen wir aber nicht. Das Boot schießt mit einer Affengeschwindigkeit vorne an uns vorbei, ein Mann an Bord.
Ich sag noch zu Diana: „Mann, heute haben aber einige Leute RICHTIG Spaß am Segeln. Guck Dir mal den an, der schießt unter voller Besegelung direkt auf die Felswand zu! Der will wirklich die letzte Sekunde Wind ausnutzen, bevor er zum Ankern in die Bucht läuft!“.

Wir konzentrieren uns weiter auf unser Manöver. Die Segel sind runter. Wir stampfen gegen den Wind in die Bucht. Diana guckt auf den Windmesser und schreit: „37 Knoten!“
Das ist viel. Bei 41 Knoten sind für die Freunde der Beaufort-Skala bereits Windstärke 9…

Die Bucht ist voll, von überall kommen Boote und haben Zuflucht vor dem starken Wind gesucht. Die Bucht ist tief und es gibt einige ätzend krautige Stellen – also ungemütlich bzw. schwierig zum Ankern. Wir aber kennen die Bucht. Und vom Bugkorb aus erblicke ich eine gute Stelle. Ich weise Diana die Richtung, sie signalisiert mir die Tiefe und Windgeschwindigkeit. An eine Unterhaltung – selbst aus voller Kehle geschrien – ist nicht mehr zu denken – es ist schlichtweg zu laut dafür.

Unser Ankermanöver beginnt, mein Anker fällt in 30 Fuß tiefes Wasser direkt auf ein schönes Sandloch, und bevor Diana überhaupt den Rückwärtsgang reinhauen kann, erfasst uns schon der Wind und treibt SCOOBY seitlich mit 5 Knoten rückwärts. Die Ankerkette scheppert, die Winsch surrt, bei 150 Fuß ist Schluss. Der Anker gräbt sich ein, die Kette spannt sich und reißt mir fast die Ankerwinsch aus der Halterung! SCOOBY windet sich ein Mal nach backbord, ein Mal nach steuerbord, und schlängelt sich dann elegant in den mittlerweile 40 Knoten-starken Windstrom. Cool gemacht, wir sind da, alle Nachbarn auf den schon vor Anker-liegenden Booten haben geguckt und gestaunt und tun nun so, als ob sie nicht geguckt hätten.

Ich bleibe am Bug und checke, ob sich der Anker noch bewegt und sehe nur noch aus dem Augenwinkel, wie der wahnsinnige Typ in seiner Jeaneau draussen vor der Bucht kurz vor der rechten Felswand zum stehen kommt. WOW, der Typ hat Eier, denk ich mir…

Eine Stunde später, der Anker hält noch immer und der Wind wird noch stärker, sitz ich im Dinghy und kämpfe mich gegen den Wind an Land vor, um mich bei den französischen Behörden ordnungsgemäß anzumelden. Unglaublicherweise geht das in DESHAIES schnell und unkompliziert.

Als ich zurückkomme und kurz vor SCOOBY bin, sehe ich plötzlich ein Segelboot, das irgendwie verdächtig komisch nah quer vor einem Tauchkatamaran liegt. QUER vor einem Katamaran? So nah? Bei diesem Wind? Das kann nicht sein!
„Hast Du den da drüben gesehen?“ rufe ich Diana hoch.
„Nö, aber das sieht komisch aus“ schreit sie zurück.

Ich schleudere ihr den Rucksack mit unseren Bootspapieren hoch, greife mir instinktiv ein Seil und schreie „Ich fahr rüber und guck mir das an!“.

Auf dem Weg zu dem Boot wird mir sofort klar: Das ist die Jeanneau! Sie liegt QUER vor dem großen Tauchkatamaran, der fest an einer Muring liegt. Aber die Jeanneau liegt nicht quer vor dem Kat, sondern AUF dem Kat. Sie wurde förmlich aufgespießt!

Nun drückt der Wind das bestimmt 15 Tonnen schwere Boot mit voller Wucht auf die Stahlkufen des Kats… An Bord der Segelboots sehe ich den Eigner umherspringen.

Ich fahre auf die Leeseite des Bootes, also die Seite, die dem Wind abgewandt ist und sehe nun das ganze Schrecken: die Jeanneau hat unter Segeln versucht, vorne an dem Kat vorbeizukommen, aber der Wind und die Drift haben das Boot quasi auf dessen Hörne gespießt. Das war viel zu eng und waghalsig!

Zwei weitere Dinghys sind bereits an der Leeseite des Segelboots und drücken es mit Vollgas gegen den Wind, weg von den scharfen Kufen des Katamarans, der das Boot längsseitig droht aufzuschlitzen. Die beiden Typen unterhalten sich, aber das Boot bewegt sich natürlich keinen Millimeter!

Ich geselle mich als drittes Dinghy – mit 5 PS – dazu und frage, ob ich helfen kann und was passiert sei. Dave, aus Texas, skizziert kurz die Lage: der Typ, ein Russe, sei unter Segel in die Bucht gekommen, alles sei doch viel zu eng dafür und viel zu viel Wind und dann wollte er vorne an dem Kat vorbei und hat sich mit seinem Ruder irgendwie an dessen Muringleine verfangen. Sein Motor sei ausgefallen, sein Ruder ginge nicht mehr und der Typ sei wirklich am Arsch.

Er und sein Kompagnon wüssten zwar ganz genau, dass das, was sie da mit ihren Dinghys bei 40 Knoten Wind tun würden, nichts helfen würde, aber sie täten es trotzdem. Dave meint, der Russe spricht ein wenig Deutsch. Dave hatte es auf den Punkt gebracht: der Typ war am Arsch und helfen würde das Dinghy-Drücken, um ihn wieder frei zu bekommen, auch nichts.

Es wurde Zeit, dass hier einer mal einen Plan macht.
Ich schreie dem Russen entgegen, was er machen will.

Der Russe heisst Juri, ist ca. 50. Er hat kurzrasierte, blonde Haare und einen kugelrunden Kopf, der hochrot ist. Dazu trägt Juri eine lange, weite, schwarze Adidas-Sporthose und ein braunes T-Shirt, das bereits an mehreren Stellen zerrissen ist und in Fetzen über seinem dicklichen Bauch flattert. Juri ist pitsch-nass, barfuß und läuft verzweifelt auf Deck seiner Yacht auf und ab und muss mit ansehen, wie sein Goldstück im Sturm immer größeren Schaden nimmt. Und er weiß überhaupt nicht, was zu tun ist. Und Juri spricht auch kein Deutsch. Und auch kein Englisch. Juri spricht gar nicht mehr, sondern wimmert nur noch fluchend vor sich her. Und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

So geht das nicht weiter! Ich rufe zu Dave rüber, dass ich ins Dorf fahre und Hilfe suche.

Gesagt getan.

Roter Oktober kämpft sich gegen 40 Knoten Wind und dementsprechende Wellen Richtung Land. Wir verlieren Luft, er ist schon ganz platt in seinem linken Schlauch. Und auch das Benzin geht zur Neige. Aber wir müssen helfen! Wir müssen…

Im Dorf laufe ich wie angestochen von Pontius zu Pilatus. In einem französischen Hafenstädtchen, in dem keine Sau Englisch spricht!

Schließlich stehe ich vollkommen ausser Atem und in höchster Rage in dem Tauchladen, dem der Katamaran gehört. Vor mir eine Mitte 20-jährige Französin, die kein Wort versteht.
Ich zeichne.
Ich gestikulieren.
Ich brülle sie an und zeige aus ihrem Fenster über den Strand hinaus in die Bucht, wo man deutlich das Segelboot sieht, das auf ihrem Katamaran sitzt und einen verzweifelten Kampf kämpft. Sie aber kann nicht helfen – sie weiß von nichts. Ihr Chef, Jean Pierre ist nicht da, sie ist zum Scheißen zu blöd!

Ich laufe zurück zum Dock und springe in Roter Oktober. Der ist mittlerweile noch platter und schon halb voller Wasser. Zurück zu Juri!

Auf dem Weg zurück pumpe ich bei voller Fahrt ein wenig Luft nach. Dann bin ich zurück am Boot. Dave und der andere sind immer noch sinnlos am schieben. Aber mittlerweile ist Jean Pierre an Bord des Katamarans! Ein Wunder!

Jean Pierre ist Franzose durch und durch. Trägt nur eine knappe Speedo-Badehose. Mich wundert, dass er keine Gitanes im Mundwinkel hat…

Ich versuche den Leute zu erklären, dass eine gute Lösung vielleicht ein Zweitanker wäre. Auf der Luvseite ausgebracht, um das Boot dann vom Kat wegzuwinschen. Das könnte Entlastung bringen… Juri versteht kein Wort. Dave und sein Kompagnon finden die Idee klasse und nicken mit den Köpfen. Aber Juri hat keinen Zweitanker an Bord. Glaube ich. Glaubt er.

Jean Pierre erweisst sich dann plötzlich als Mann der Tat: mit einem Küchenmesser sägt er am Muringseil, während wir noch diskutieren. Dave und sein Kompagnon sind begeistert. Juri steht stumm da.

Ich kralle mich an die Reling. Wellen und Gischt steigen in mein Dinghy. Wir alle sind klatschnass und Roter Oktober bockt in den Wellen an der Bordwand des Boots wie ein junger Stier.

Es sind mittlerweile mehr als 40 Knoten Wind.

Ich frage: „Was passiert, wenn Jean Pierre die Leine durch hat? Was passiert mit Juri? Der treibt doch aufs Meer hinaus! Oder auf den nächsten Felsen! Hat hier irgendjemand einen Plan?!“

Dave und sein Kompagnon gucken mich mit großen Augen an.
Beide nicken wieder, so nach dem Motto „Recht hast Du, mein Junge! Was ist mit Juri?!“

Ich kann meine Wut nicht mehr verbergen.
Ich brülle gegen den Wind.

Und Jean Pierre sägt am Seil…

Dann ein kurzer harter Ruck – und plötzlich sind alle frei!
Alles bewegt sich. Alle bewegen sich!

Die beiden Motoren des Kats heulen auf. Juri drückt uns drei Dinghys zur Seite, als sein Boot vom Wind erfasst wird und sofort buchtauswärts getrieben wird. Ich verliere das Gleichgewicht und reiße dabei die Not-Aus-Leine des Motors, die an meinem Handgelenk zur Sicherheit befestigt war. Das große, manövrierunfähige Schiff drückt mein kleines Dinghy vor sich her. Der Motor ist aus! Und er will nicht wieder anspringen! Ich hebe den Benzintank an – der ist federleicht, da ist vielleicht noch ein Schnapsglas Benzin drin!

Shit!
Wie verrückt ziehe ich am Starter des Motors.
Immer wieder.
Immer wieder.
Komm, spring doch an!
Lass mich jetzt nicht hängen!

Wasser und Wellen steigen ins Dinghy. Dann knatterts und Roter Oktober läuft wieder! Gut gemacht, Alter Junge!

Geistesgegenwärtig greife ich mein Seil und werfe es Juri entgegen. Ich signalisiere ihm mit Händen und Füßen, das Seil an seinem Bug festzumachen.
Am anderen Ende des Seils hänge ich. Mit 5 PS und bei 40 Knoten ist es natürlich UNMÖGLICH, eine 39 Fuß Yacht zu schleppen.

Ich stehe im Dinghy, mit dem Seil in der Hand und winke wild zum Kat und zu Dave und seinem Kompagnon rüber. Dabei reiße ich wieder die Not-Aus-Leine aus meinem Motor.
Wieder ist der Motor aus!
Verflixt!

Wir treiben hinaus. Immer schneller auf die Felsen zu!
Doch Jean Pierre hat verstanden!
Er dreht seinen Kat und kommt uns hinterher gefahren.
Mein Motor springt wieder an – ein letztes Mal vielleicht – und ich fahre mit der Leine und Juri´s Yacht im Schlepptau dem Kat entgegen.

Die Leine ist zu kurz!
Komm näher! Verdammt!
Ich kann die Leine nicht halten, die Yacht zieht mich weiter raus!
Komm näher, Jean Pierre!

Und der kommt immer näher. Langsam. Langsam. Sehr langsam.
Die Wellen sind immer höher. Der Wind immer stärker.

Der Kat ist ganz dicht neben mir. Bedrohlich dicht. Er hebt und senkt sich in den wilden Wellen. Und schlägt dabei immer wieder gegen Roter Oktober.
Jetzt muss ich aufpassen, nicht auch noch über Bord zu gehen!
Mit letzter Kraft reiche ich Jean Pierre die Leine hoch.
Der hängt kopfüber von der Bordwand und greift das Seil und macht es hinten fest.
Dann Vollgas zurück in die Bucht.
Und tatsächlich, das Gespann setzt sich in Bewegung und der Katamaran schleppt die Yacht zurück in die Bucht.

Dort setzen wir ein zweites Seil zwischen Kat und Yacht und so verbringt Juri die Nacht!
Ich dreh vollkommen erschöpft ab.
Juri ruft mich rüber.
Klitschnass steht er an Deck und deutet mir an, an Bord zu kommen.
„Kommen an Bord. Du. Drinken Vodka mit miech. Müssen kommen du an Bord. Vodkatrinken. Bittschön“.

Nee, nee, lass mal gut sein, mein Lieber!
Dankend lehne ich ab – heute nicht.

Mit dem letzten Tropfen Benzin geht´s zurück zu SCOOBY, der sicher an seinem Anker den Sturm verbringt. 

 

Photocredit: DGzRS

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