Nach den magischen Tagen bzw. Wochen auf DOMINICA ist der Wendepunkt gekommen: weiter Richtung Süden geht es für uns nicht mehr – jedenfalls nicht mehr jetzt. Die Hurricanesaison hat schon vor einigen Tagen offiziell begonnen und wir haben uns entschieden, wieder Richtung Norden zu fahren und die Saison auf den BVIs zu verbringen – mit einem sicher reservierten Platz in NANNY CAY, den wir anlaufen können, wenn ein Sturm droht.
Also ging es das erste Mal seit Monaten wieder in Richtung Norden. Und zwar wie! Einen kurzen Abstecher wollten wir uns aber noch gönnen. Auf LES SAINTES hatten wir die Deutschen Marion und Harald getroffen und auch Lilly und Tomaz aus Slowenien kennengelernt. Und beide Paare haben von ANTIGUA geschwärmt. Eigentlich machen wir sonst nichts, was andere Segler uns so empfehlen. Doch als wir die Vier später auf DOMINICA wieder trafen und wir Lilly´s Argumenten und Erzählungen lauschten, waren wir einfach überzeugt: wir wollten nach ANTIGUA! Liegt ja schließlich auch im Norden und quasi auf dem Weg…
Die lange Strecke von DOMINICA wollten wir mit einem Zwischenstopp in DESHAIES, ganz im Norden von Guadeloupe, meistern und dann weiter nach ANTIGUA.
Morgens um halb vier klingelt der Wecker und kurz nach 5 laufen wir im Morgengrauen aus der Bucht von PORTSMOUTH aus. Vorhergesagt waren 25 Knoten Wind. Mittlerweile wissen wir, dass das 35 Knoten DRAUSSEN bedeutet. Und so kommt es dann auch. Wir haben viel Wind, aber das Boot liegt gut und wir haben beide Segel im zweiten Reff. Segeln Richtung Norden ist toll hier in der Karibik um diese Jahreszeit!
Schon kurz vor Mittag macht Diana mehr als 8 Knoten Fahrt. Unser alter Geschwindigkeitsrekord lag bei 8,4 Knoten – und das ohne gereffte Segel, also mit wesentlich mehr Segelfläche!
Irgendwann kommt noch mehr Wind und wir reffen die Fock, bis sie nur noch die Größe eines Badehandtuchs hat. 9,2 Knoten! Neuer Rekord. Obwohl wir nur noch so wenig Segel draussen haben… Diana steht am Steuer und ich bin so stolz auf sie!
Und dann kommt es, wie es kommen musste:
Wir schießen an LES SAINTES vorbei und erreichen den GUADELOUPE-Channel. Und Diana muss mal. Toll – denn das heißt, ich muss das Steuer übernehmen!
Bei einer schnellen Autobahnfahrt ist das einfach: man fährt rechts raus, hält an einer Raststätte und geht in aller Seelenruhe pinkeln. Nicht so auf dem Meer. Ich DARF das Steuer übernehmen und Diana hangelt sich hinunter ins Bootsinnere. Das kann dauern…
Währenddessen freunden sich SCOOBY und ich uns bei diesem Wind schnell an. Das Schiff liegt toll im Wasser.
„Mach ein bißchen mehr Fock“, sage ich mir. „Nur ein kleines bißchen“, und lasse ein paar Zentimeter mehr Segeltuch raus, während Diana auf der Schüssel sitzt… Zeitgleich verlasse ich den Windschatten des letzten Hügels von LES SAINTES und eine starke Strömung und 2 Meter-Wellen ergreifen von schräg hinten. SCOOBY fliegt. Nein – SCOOBY pflügt! Er pflügt durchs Wasser. Ich schieße durchs Wasser und hinterlasse eine tiefe Furche im Meer, durch die Moses sein Volk locker trockenen Fußes auf die andere Seite hätte führen können!
Meine Augen sind gebannt auf unseren Geschwindigkeitsmesser gerichtet.
Speed over Ground: 9,0 Knoten.
9,3 Knoten!
Neuer Rekord!
9,4 Knoten!
Neuer Rekord!
Ich piss mir gleich in die Hosen, wenn ich die 10 sehe!
Hat Diana was von unten gerufen?
Ich hör nichts.
Es zischt zu laut! Sorry, aber kann ich ja wohl nichts für…
Die maximale Geschwindigkeit eines Segelboots kann man berechnen. Sie setzt sich aus der Segelfläche zusammen, dem Wind und vor allem aus der Länge des Bootes. Vereinfacht gesagt: je länger ein Boot, desto schneller kann es fahren.
Unser Boot ist 39 Fuß lang. Daraus ergibt sich eine theoretische Maximalgeschwindigkeit von ungefähr 9,5 Knoten für SCOOBY… Glaube ich.
Noch immer schaue ich gebannt auf den Speedmesser.
Die nächste Welle rollt von hinten heran.
Die nächste Böe zeichnet sich direkt vor uns auf den Schaumkronen ab.
Das ist meine Chance!
Das Steuerrad einen Millimeter nach links, dann 2 Millimeter nach rechts die Welle hinauf, dann 3 Millimeter nach links die Welle herunter.
SCOOBY schlingert, gewinnt aber sofort wieder Traction, wie bei einem Formel 1 Rennwagen, bei dem man am Anfang ein wenig zu viel Gas gegeben hat…
9,5 Knoten…
9,6 Knoten…
9,8 Knoten…
Zehn!
ZEEEEHN!
10,1 – 10,2 – 10,4 – 10,6…
Diana kommt wild schnaubend nach oben ins Cockpit zurück, das seinen Namen noch nie so verdient hatte, wie heute!
„Waaaaas machst Du?!!!!!!!!“ schreit sie.
„Wir faaaaaahren 10,6 Knoten!!!!!“ ruf ich strahlend zurück!
Mit beiden Händen hält sie sich am Steuerpult fest und beugt sich über den Geschwindigkeitsmesser: „10,8 Knoten“ blinkt es für den Bruchteil einer Sekunde auf, bis die Geschwindigkeit wieder auf 9 Knoten abfällt.
Diana ist sprachlos.
„Los, gib mir das Steuer zurück, ich steure jetzt wieder!“.
Ich setz mich, krall mich an einer Winsch fest und merke, wie mir die Knie zittern.
Diana schafft es noch einmal auf 10,2 Knoten – ihr neuer Rekord – bis wir in den Windschatten von Guadeloupe kommen.
Was für ein Ritt!
WAS FÜR EIN RITT !!!!
Und wie ungerecht: da steuert sie uns seit Monaten sicher und schnell durch jedes Wetter und geht dann ein Mal auf Toilette und verpasst die Wind-und-Wellen-Konstellation ihres Lebens! Oh, wie gemein… ;-))
Die 10,8 stehen.
In MEINEM Log ;-))))))))))))))))))))))))))))))))))))