Abstieg in die Hölle

Unser Trip nach SABA war erleuchtend.
Wir wollten mehr davon.
Und mehr davon gab´s in Richtung Süden: eine Insel mit Namen ST. EUSTATIUS, auch genannt STATIA.

STATIA war mal einer der höchst frequentiertesten Häfen der Welt.

Das hört sich aus heutiger Sicht für so eine kleine Insel zunächst recht unglaubwürdig an.

Doch Mitte des 17. Jahrhunderts führte quasi jeder europäische Staat gegen den anderen Krieg und das war auch immer mit gegenseitigen Handelsverboten, Strafzöllen oder einem Embargo verbunden.

Doch das alles galt nicht für STATIA.

STATIA war die Handelsmetropole der Neuen Welt. Hier konnte Frankreich Waren an STATIA verkaufen, die diese dann weiterverkauften nach England. Oder umgekehrt. Hier konnten Spanier Gold gegen Sklaven „wechseln“, das später nach Holland wanderte. Usw. Usw. Zum Beispiel produzierte STATIA im Jahr 1770 selbst nur ein paar Tonnen Zucker. Doch exportierte das Land im selben Jahr über 20 Millionen Pfund! Staatlich genehmigter Zucker-Schmuggel also.

Der hatte zur Folge, dass STATIA`S „Bürger“ unglaublich reich wurden.

Bald hieß die Insel nur noch „The Golden Rock“.

Das hatte aber auch zur Folge, dass STATIA immer wieder und wieder ausgeraubt, geplündert und zerstört wurde und über 20 Mal den „Besitzer“ wechselte.

Als Admiral Rodney die Insel Ende des 17. Jahrhunderts einnahm, beschlagnahmte er alle Schiffe und alle Warenspeicher, hatte aber eigentlich mit mehr Beute gerechnet. Bis er eines Tages merkte, dass es für eine Insel mit einer derart kleinen Kaufmanns-Gemeinde auffällig viele Beerdigungen gab. Er stoppte daraufhin einen der Beerdigungszüge und ließ den Sarg öffnen, der bis oben hin mit Münzen und Juwelen gefüllt war. Ein bißchen Graben auf den unzähligen Friedhöfen brachte weitere Reichtümer zu Tage. Rodney ließ daraufhin 100 jüdische Kaufleute deportieren.

Am Ende ging STATIA wieder an Holland. Doch hohe Steuern und Zölle zuvor und vor allem das Ende der Sklaverei und des Zuckerrohrbooms besiegelten das Schicksal der Insel: sie wurde bedeutungslos und fiel in einen Dornröschenschlaf. Und der dauert bis heute an!

Als wir auf STATIA anlanden finden wir nur noch Ruinen der alten Warenhäuser und Speicher vor, die Ende des 17. Jahrhunderts prall gefüllt waren. Direkt am Strand der „Hauptstadt“ Oranjestad. Die Ruinen mitten im Wasser sehen aus wie die stummen Zeitzeugen einer goldenen Epoche mit schwarzen Flecken, die diese Insel längst hinter sich hat. Heute erwarten uns am Strand blökende Ziegen und spielende Jungs. Aber das alles hat einen unglaublichen Charme und diese Mauerfundamente mitten im Wasser sind unglaublich inspirierend!

Das Örtchen Oranjestad selbst liegt am Fuße eines schlafenden Vulkans, dem QUILL.

Und für den waren wir eigentlich gekommen. Diana wollte ihn unbedingt erst besteigen und dann hinab in seinen Krater…

Gesagt – getan.

Morgens stapfen wir den Kraterhang hinauf. Sind bestimmt schon 30 Grad. Es geht erst durch lichten Wald am Fuße, der dann immer dichter wird, je höher wir kommen. Und es wird immer kühler. Aber auch immer steiler.

Nach knapp zwei Stunden erreichen wir den Kraterrand und schauen in einen fast perfekt geformten runden Krater, der bestimmt über 400 Meter direkt nach unten abfällt und bestimmt 2 Kilometer breit ist. Komplett zugewuchert und schier undurchdringlich.

Ein Warnschild steht am Rand: „WARNING! Proceed with extreme caution!“

Und das machen wir dann auch. Wir wagen den Abstieg in den steilen Kratertrichter. Es ist sofort unglaublich steil und geht nur noch am Seil hinunter. Dichter Regenwald und üppigste Vegetation in allen erdenklichen und unerdenklichen Formen. Zwischen jedem zweiten Stein liegt eine Schlange und züngelt uns entzückt an. Die Biester sind derart renitent, dass sie nicht mal mehr die Flucht ergreifen, als Diana mal wieder fast auf eine Schlange drauf tritt. Oder haben die gar noch nie einen Menschen hier gesehen und fliehen  deshalb nicht?

Schon nach einigen Metern jedenfalls guckt mich Diana aus großen Kulleraugen an „Wollen wir weiter?!“

Sie will!

Ich wiederum habe meine Probleme mit Skorpionen und vor allem mit den Taranteln. Auf einer Hinweistafel lesen wir dazu, dass diese pelzigen Riesenspinnen „nur“ auf Provokation beissen. Ok. Wenn sie dann aber beissen, betäuben sie ihr Opfer und legen dazu ein einziges Ei in den Wirt. Das Opfer lebt also nach dem Biss noch weiter und in ihm wächst eine neue Baby-Tarantel heran, die seinen Wirt bei lebendigem Leibe langsam und genüsslich von innen aussaugt.
Dafür bin ich ja dann wohl der prädestinierte Kandidat.

So oder so wird alles irgendwie schnell viel dunkler und viel ungemütlicher. Je tiefer wir in diesen Krater hinabsteigen, desto ungemütlicher wird´s. Alles ist total zugewuchert, es raschelt überall und immer verdächtig und bald schon dringt fast kein Tageslicht mehr durch die dichten Blätter zu uns hinunter. Wir sind alleine. Komplett alleine. Teilweise gehts senkrecht am Seil über riesige, erkaltete Lavabrocken hinab, die über und über mit Jahrhunderte alten Flechten und Moosen bewaldet sind. Ich denke mir „Hoffentlich fängt´s für den Wieder-Aufstieg nicht an zu regnen, sonst wird´s glitschig und wir müssen hier übernachten…“

Und dann sind wir unten!
Unten in einer ganz eigenen Welt!
Dichter Dschungel.
Unglaubliche Geräusche.
Kaum Tageslicht.
Gerüche, ganz fremd.

Wir stolpern über mannshohe Baumwurzeln und schlängelnden Schlangen, entdecken bizarre Lebewesen, Krebse und Urzeitpflanzen und finden uns am Ende im Zentrum des Kraters wieder, in dem gigantische, schwarze Felsbrocken wie Murmeln im Dschungel umherliegen und langsam immer weiter überwuchern.

Wir sprechen wenig oder gar nicht – gucken uns nur mit weit geöffneten Pupillen an.

Ein ganz und gar dämonischer Ort.

Und dann passiert es!

Aus unserer absoluten Empfindsamkeit für alles Unnatürliche werden wir durch plötzliches Hufschlagen hochgeschreckt! Eindeutig: lautes, kaltes, hartes Hufschlagen auf Stein…

Wir starren uns beide an und nehmen in selber Sekunde einen eigenartig eklig-teuflischen Geruch wahr…

Können den Gedanken aber nicht zu Ende denken, denn ein muskulöses Geschöpf springt anmutig aber drohend auf den schwärzesten aller Felsbrocken auf diesem Kratergrund…

Ein schneeweißer Ziegenbock, mit perfektem Fell und starrem Blick!

Wie aus dem Märchen.

Er starrt uns an…

Wir erstarren zu Salzsäulen.

Dieser Geruch…

Der Bock sieht zu uns herüber und nimmt dabei fast menschliche Züge an.

„Folgt mir!“ signalisiert er uns UNMISSVERSTÄNDLICH.

Und wir tun es!

Obwohl wir beide sofort erkennen, dass es sich hier um etwas zwischen Himmel und Erde handelt. Hier hat LUZIFER seine Finger im Spiel und versucht uns etwas mitzuteilen…

Der Bock springt vom Fels und verschwindet im Unterholz.
Wir springen hinterher.
Wir folgen diesem diabolischen Geruch und einer schemenhaften Gestalt im Dickicht…
Immer sind wir ihm ganz nah. 

Diana läuft vor, ich hinterher.
Fast verliere ich sie.

Wir laufen durch eine unglaubliche Konstellation aus schwarzen Gesteinsbrocken, eingebettet in grünstes Grün. Die Angst treibt uns voran!

Alles bewegt sich – alles dreht sich!
Am Ende drehen wir uns im Kreis!
Wir kommen wieder da an, wo wir dieses Geschöpf zuerst erblickten.

Regen setzt ein.

Die dicken Tropfen fallen wie Pech und Schwefel durchs dichte Blätterdach auf uns herab.

Wir aber bleiben trocken und sind beschützt.

Es ist Zeit für den Wieder-Aufstieg zum Kraterrand.

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